Mut zur Veränderung: Karriere 2.0 - mit über Fünfzig in die Erzieher*innenausbildung

Interview mit Melanie Lehnert

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Mit über Fünfzig nochmal neu starten? Klar doch! Vom Büro zur Kita – Melanie erzählt uns, wie sie die Erzieher*innenausbildung gemeistert hat. Sie berichtet von den Herausforderungen des PivA-Modells und Erfolgen durch Lebenserfahrungen sowie den Kontakt mit einer anderen Generation. 

Melanie, du hast dich mit über Fünfzig nochmal für einen neuen Lebensweg entschieden und eine Erzieher*innenausbildung begonnen. Wie kam es dazu?

Ich habe nach dem Abitur eine Banklehre gemacht und dann nochmal internationale Betriebswirtschaft studiert. Ich bin mit dem Glaubenssatz groß geworden, Frauen müssen unabhängig sein. Demnach war der soziale Bereich für mich keine Option, weil er finanziell schlechter gestellt ist. 

Kurz nachdem ich mein zweites Kind bekommen habe, ist meine Mutter sehr krank geworden und verstorben. Daraufhin habeich mich ehrenamtlich bei den Maltesern und engagiert und ältere Menschen betreut. Da kam der Gedanke: Naja, du bist ja noch relativ jung, das kann es jetzt irgendwie nicht gewesen sein. Ich habe dann eine Ausbildung im Hospiz angefangen, die ich wegen Corona abbrechen musste. Danach habe ich zwei Jahre als Teilhabeassistenz in einer Grundschule gearbeitet, was meinen Wunsch festigte, im Bildungsbereich zu arbeiten. Beim Arbeitsamt wurde klar, dass ich einen pädagogischen Abschluss brauche.

Du hast dich dann für eine Ausbildung und das PivA-Modell entschieden. Wie war diese Erfahrung?

Das Modell ist unheimlich lehrreich in Theorie und Praxis. Aber es ist schwer, Ausbildung und Familie unter einen Hut zu bekommen, weil man neben den Schultagen Vollzeit arbeitet. Ich habe dann viel nachts machen müssen. Es war sehr viel und trotzdem hervorragend. Ja, es ist hart, das muss man wissen. Aber Erzieher*innen haben aus meiner Sicht mehr Wissen und auch praktisches Handwerkszeug als diejenigen mit einem Studium in Sozialer Arbeit oder Kindheitspädagogik.

Wenn man mich fragen würde, ob ich es nochmal machen würde, sage ich na klar, aber in einem anderen Modell oder mit einem anderen Setup. 

Wie hast du den theoretischen Teil in der Schule erlebt?

Ich war an der Berta Jourdan und das war anspruchsvoll, harter Tobak - und man musste ordentlich ranbolzen. Aber in der Praxis siehst du, wie gut das eigentlich ist, weil man so viel wahrnimmt und fachlich einsortieren kann. 

Überhaupt stimmt das Image der Erzieher*innen mit Kaffeetasse und Plunderstückchen nicht. Dass man auch mal diese wahnsinnige Kompetenz sieht. Das ist es, was ich mir wünschen würde.

Hattest du hinsichtlich des Altersunterschieds Bedenken nochmal an die Berufsschule zu gehen? 

Nein, ich fühle mich nie für irgendetwas zu alt. Etwas gestresst hatte mich, dass alle in der Schule dachten, ich wäre eine Lehrerin. Ansonsten sind in der Pädagogik Lebenserfahrungen aus anderen Bereichen eher ein Gewinn. Es gibt eben Situationen, in denen man auch mal wirtschaftlich sein muss. Und auch eine gewisse Disziplin und organisatorische Fähigkeiten helfen mir im Alltag. Zu motivieren “das rocken wir jetzt, auch wenn wir nur zu dritt sind. Das schaffen wir”, dieser positive Blick und das Zusammenhalten sind meine Stärken. 

Gab es Vorurteile?

Anfangs ja, da habe ich ein bisschen gegen Vorurteile arbeiten und rüberbringen müssen, dass die Ausbildung mir wirklich eine Herzenssache ist und nicht etwas, womit ich mich als Mutter nochmal bestätigen möchte. Das waren eher die Themen, aber nicht, dass ich zu alt bin. Wir waren gut gemischt und zu viert im Ü-50-Bereich. Die Gruppe hat es eher als bereichernd empfunden, dass ich nochmal einen anderen Blick reingebracht habe. 

Ja, und klar, meine Vorgesetzten in den zwei Einrichtungen, in denen ich meine Ausbildung gemacht habe, waren alle jünger, genauso wie einer meiner Anleiter. Aber für mich sind Kompetenzen entscheidend und nicht das Alter.

So sollte es ja generell auch sein. Aber nochmal zurück zur Schule: im Klassenverbund, wie hast du es dort empfunden?

Sehr familiär. Wir waren eine coole Truppe. Wir waren sogar auf Klassenfahrt und haben als einzige Klasse nach der Zeugnisübergabe noch zusammen gefeiert. Und ja, ich war schon so ein bisschen die Mama der Gruppe. Aber das war ok. Ich glaube, wir haben uns alle sehr wohl gefühlt. Es gab wenig Konkurrenz, keine Rollen oder Leitfiguren, man konnte miteinander reden, jeder war offen. Also so, wie man es sich eigentlich von einem Team wünscht. Ich finde sowieso so gemischte Altersklassen total cool.

„Es hat mich geöffnet für eine Generation, die mir eher verschlossen war und das finde ich super wertvoll.“


Melanie Lehnert

Deine Mitschüler*innen konnten bestimmt von deiner Lebenserfahrung profitieren. Gibt es auch etwas, das du von deinen jüngeren Mitschüler*innen lernen konntest?

Was ich mitgenommen habe und ich mir oft anhören musste war: “Jetzt entspann dich doch mal, mach dich locker.” Ich habe ganz viel über den Zeitgeist gelernt, wie das Miteinander ist und wie kommuniziert wird. Auch, dass es irgendwie unverbindlicher ist. Wenn man sich verabredet und nur die Hälfte kommt, hat man das in meiner Zeit persönlich genommen, aber die sind alle ganz locker und cool. Diese Leichtigkeit miteinander war mir fremd. Auch bei dem ganzen Thema Medien bin ich oldschool, da habe ich meinen Blick ein bisschen relativieren können. Sie haben mir gesagt, vielleicht zockst du mal mit deinem Sohn, signalisierst Interesse an dem, was er tut, bevor du es im Vorhinein ablehnst. Und das hat mir schon manchmal auch die Augen geöffnet. Es hat mich geöffnet für eine Generation, die mir eher verschlossen war und das finde ich super wertvoll. Und diese Leichtigkeit bringen sie auch mit zur Arbeit. Wo ich vielleicht etwas ernsthafter und näher am Kind war, waren sie etwas lockerer und gechillter, das hat sich gut ergänzt.

Würdest du die, die vielleicht wegen ihres fortgeschrittenen Alters hadern, ermutigen, den Schritt zu gehen?

Absolut. Besonders im pädagogischen Bereich ist man nie zu alt. Ganz im Gegenteil, meine Berufserfahrung hat Türen erst recht aufgemacht. Auch zum Beispiel eine Kassiererin im Supermarkt ist ja resilient ohne Ende. Und das sind wertvolle Kompetenzen.

Viele Eltern waren mir ebenfalls zugeneigt, weil ich durch meine eigenen Erfahrungen als Mutter weiß, was sie beschäftigt und welche Infos sie brauchen. Aber es ist schon so, dass ich es nicht nur empfehlen kann. Man muss schauen, wenn man zum Beispiel schon Kinder hat, was für ein Typ Mutter man ist und wie gut man sich organisieren kann. Auch mit den Gefühlen klarzukommen, war schwierig. Auf der einen Seite habe ich mich total wohl gefühlt in dem, was ich tue, aber auf der anderen Seite war das schlechte Gewissen den Kindern gegenüber. Das war hart, aber man schafft es.

Vorhin hast du gesagt, du würdest die Ausbildung nochmal machen, aber in einem anderen Modell. Hast du in Erwägung gezogen, während der Ausbildung zu einem anderen Ausbildungsmodell zu wechseln?

Die PivA wird mit der Finanzierung und als familienfreundlich beworben, was ich sehr schade finde, weil es eigentlich irreführend ist. Ich hatte die Momente, in denen ich ein bisschen verzweifelt bin, weil ich durch die Struktur häufig überlastet war. Und ich hätte mir wahrscheinlich im Vorfeld mehr Gedanken über wichtige Veränderungen, wie die Einschulung, im Leben meiner Kinder machen müssen. Zudem habe ich dann mitbekommen, dass auch andere Modelle finanziert werden und die Personen nicht wesentlich weniger Geld haben und sich natürlich leichter tun, weil sie weniger arbeiten müssen. Auch da hätte ich mich besser informieren sollen. 

Aber ich habe mich von Anfang an super wohl gefühlt bei der Lebenshilfe und habe auch die Benefits des PivA-Modells gesehen. Das, was du lernst, machst du in der Praxis. Viele Facharbeiten oder Dinge, die du in Klausuren lernst, kannst du direkt umsetzen. Deshalb habe ich es durchgezogen.

Hast du dich explizit für einen kleineren freien Träger entschieden?

Ja. Ich wollte immer zur Lebenshilfe. Weil sich das für mich richtig angefühlt hat - und das Gefühl hat mich die letzten drei Jahre nicht verlassen. Der persönliche Kontakt und das Kleine sind mir wichtig. Wenn man mit Kindern arbeitet, braucht man kurze Wege und schnelle Absprachen. 

Die Ausbildung bedeutet unheimlich viel Stress und Anforderung in kurzer Zeit. Da ist es wichtig, einen guten Träger und ein gutes Team zu haben. Ich hatte da wirklich Glück. Ich hatte das Gefühl, dass Partizipation echt gelebt wurde, in beiden Einrichtungen. Mein Naturkindergarten war in unserem Klassenverbund zum Beispiel die einzige Einrichtung mit einer Kinderkonferenz. 

 

Hier erfahrt ihr mehr über den Naturkindergarten der Lebenshilfe und die aktuellen Stellenanzeigen.


Melanie Lehnert hat eine Bankausbildung abgeschlossen und internationale Betriebswirtschaft studiert. Im „ersten“ Berufsleben hat sie für Aktionäre, internationale Finanzunternehmen und die Börse gearbeitet. 2021 hat sie mit über Fünfzig einen neuen Schritt gewagt und eine Erzieher*innenausbildung bei der Lebenshilfe gestartet. Inzwischen hat sie die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen.

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